111 Jahre: Zum Jubiläum des Internationalen Frauentags

Als Lena von Familienleicht zur Blogparade mit dem Thema „Weltfrauentag“ aufrief, war für mich schnell klar, dass mir als studierter Historikerin gar nichts anderes übrig blieb, als einen Blick auf die Geschichte dieses Tages zu werfen. Da ein einzelner Tag nie losgelöst von allem Davor und Danach betrachtet werden kann, sei mir bitte verziehen, dass mein Schwerpunkt klar auf der europäischen und vor allem der deutschen Entwicklung liegt. Alles weitere bräuchte mindestens eine Artikelserie, wenn nicht gleich ein ganzes Buch.

Seit genau 111 Jahren existiert der Internationale Frauentag

Auch wenn der Weltfrauentag inzwischen am 8. März begangen wird: Der erste Internationale Frauentag fand am 19. März 1911 statt. Rund eine Million Menschen in Deutschland, Dänemark, Österreich und der Schweiz nahmen an den Veranstaltungen teil. Dieser Artikel gibt einen kleinen Überblick über die Ereignisse, die zur Entstehung des Kampftags führten.

Die Ausgangslage

Werfen wir einen Blick zurück auf die europäische Geschichte um 1900: Wir befinden uns im Zeitalter des Imperialismus. Nationalismus war an der Tagesordnung, die europäischen Mächte wetteiferten um den berühmt-berüchtigten „Platz an der Sonne“ und verleibten sich Kolonien rund um den Globus ein. Während die Politik noch eindeutig männlich dominiert war, formierte sich schon spätestens seit der Französischen Revolution die erste Welle der Frauenbewegung. Sowohl in den USA als auch in Europa engagierten Frauen sich zunehmend für ihre eigenen Rechte [1]Es ist durchaus problematisch, dass unser Blick häufig stark auf die Frauenbewegungen in der westlichen Welt gerichtet ist und selbst dort nicht alle Bevölkerungsgruppen einschließt. Rafia Zakaria … Continue reading, vor allem für das Recht auf Erwerbsarbeit und Bildung und für das aktive und passive Frauenwahlrecht. Angelehnt vor allem an Letzeres, wurden die Beteiligten, oft abfällig, auch als Suffragetten bezeichnet (von Englisch suffrage – Wahlrecht).

Die Schwerpunkte des Kampfes konnten dabei von Gruppierung zu Gruppierung verschieden sein. Im deutschsprachigen Raum etwa ließen sich gemäßigte bürgerliche Frauen finden, die hauptsächlich nach politischer Partizipation auf kommunaler Ebene und allgemeiner Verbesserung der Bildungschancen für Frauen strebten. Radikalere, aber noch immer bürgerliche Vereinigungen verlangten das Wahlrecht auf nationaler Ebene und Universitätszugang für Frauen als Regel, nicht als Ausnahme. Der proletarisch-sozialistischen Frauenbewegung schließlich ging es vor allem um gleichen Lohn für gleiche Arbeit und eine generelle Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen.

Clara Zetkin – Pazifistin, Frauenrechtlerin, Begründerin des Internationalen Frauentags

In genau dieser Zeit des Umbruchs lebte auch Clara Zetkin, die heute als Begründerin des Internationalen Frauentags gilt. 1857 als Clara Eißner geboren und aufgewachsen in einer Familie, die den Idealen der Aufklärung nahestand, fand sie während ihrer Lehrerinnenausbildung in Leipzig 1874-1878 nicht nur Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung, der auch ihre Mutter angehörte, sondern auch zur Arbeiterbewegung. 1878 trat sie in die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP, Vorgängerpartei der SPD) ein: Ein Schritt, den sie mit dem Bruch mit ihrer Familie und ihrem Umfeld vom Lehrerinnenseminar bezahlte. Die Parteizugehörigkeit verhinderte außerdem, dass sie in Sachsen als Lehrerin tätig werden durfte, sodass sie zunächst Hauslehrerin bei verschiedenen Stellen in Sachsen, dann in Österreich und der Schweiz wurde. Nicht zuletzt trieb sie nämlich auch das sogenannten Sozialistengesetz“ ins Exil, um politischer Verfolgung zu entgehen.

Im Exil

In Zürich begegnete sie Ossip Zetkin, einem Revolutionär aus Odessa, den sie schon in ihrer Leipziger Studienzeit kennengelernt hatte. 1882 folgte sie ihm ins Exil nach Paris, das damals das wichtigste Zentrum der internationalen Sozialisten war. Die beiden hatten zwei Söhne, Maxim und Kostja. Clara Eißner nahm den Nachnamen ihres Lebensgefährten an, obwohl sie nie verheiratet waren; eine Eheschließung hätte den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft für Clara bedeutet. Gemeinsam war das Paar in sozialistischen Kreisen aus Russland, Deutschland und Frankreich aktiv. Beide waren an der Vorbereitung des Gründungskongresses der Zweiten Internationale beteiligt, der 1889 in Paris stattfand, doch Ossip starb Anfang des Jahres, nachdem er lange schwer krank gewesen war.

Auf eben jenem Kongress trat Clara Zetkin erstmal vor einem breiteren Publikum als politische Figur in Erscheinung: Eine von nur sechs Frauen unter insgesamt 400 Delegierten, war sie die einzige Rednerin des Kongresses. Ihre Rede, später veröffentlicht unter dem Titel „Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart“, wurde programmatisch für die Haltung der SAP in Bezug auf die Frauenemanzipation.

Rückkehr nach Deutschland

Um 1890 kehrte Zetkin mit ihren Söhnen nach Deutschland zurück – das „Sozialistengesetz“ hatte keine weitere Verlängerung erfahren – und ließ sich im Raum Stuttgart nieder. 1892 wurde ihr dort die Leitung der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ übertragen, die nicht nur eine der wichtigsten Zeitschriften der proletarischen Frauenbewegung wurde, sondern Clara Zetkin auch zu einer Leitfigur dieser Bewegung machte. Für Zetkin, deren Herkunft sie ebenso gut zu einer Verfechterin der bürgerlichen Frauenbewegung hätte machen können, war die Emanzipation des weiblichen Geschlechts untrennbar mit dem Klassenkampf und der sozialistischen Revolution verbunden.

Politischer Aufstieg

Ende des 19. Jahrhunderts heiratete sie den 18 Jahre jüngeren Maler Friedrich Zundel, mit dem sie bis in die 1920er Jahre verheiratet blieb. Zeitgleich nahm ihre politische Karriere immer weiter Fahrt auf: Ab 1895 gehörte sie dem SPD-Vorstand an, seit 1907 leitete sie das Frauensekretariat ihrer Partei, und im selben Jahr berief sie die Erste Internationale Sozialistische Frauenkonferenz in Stuttgart ein. Dort wurde sie zur Leiterin des Internationalen Frauensekretariats gewählt.

1910 fand die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz in Kopenhagen statt. Inspiriert von Sozialistinnen aus den USA, wo 1908 und 1909 bereits nationale Frauentage abgehalten wurden, war Clara Zetkin bei dieser Konferenz treibende Kraft zur Initiierung eines Internationalen Frauentages, der zunächst noch nicht terminlich festgelegt war. Zur Durchführung kam er erstmals am 19. März 1911, begangen von Frauen aus Dänemark, Österreich, Deutschland und der Schweiz.

Erster Internationaler Frauentag 1911 Die Gleichheit
Ausschnitt aus der Zeitschrift „Die Gleichheit“ vom 13.03.1911. Clara Zetkin kündigte darin den ersten Internationalen Frauentag an. (Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, CC BY-NC-SA 3.0 Lizenz, Ausschnitt von mir gewählt.)

Bruch mit der SPD

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kamen Veränderungen nicht nur für die Frauenbewegung, sondern auch für Clara Zetkin persönlich. Immer schon erklärte Pazifistin, stellte sie sich gegen die Haltung des Großteils der SPD und ließ sich, trotz Verbotes, nicht davon abhalten, zu Protesten gegen den Krieg aufzurufen – auch im Rahmen des Internationalen Frauentags. Ihre klare Haltung gegen den Krieg brachte Zetkin gar mehrere Monate in Haft und kostete sie 1917 die Leitung der „Gleichheit“.

Im selben Jahr gehörte Clara Zetkin, zunehmend enttäuscht von der kriegsunterstützenden Haltung der SPD, zu den Mitgliedern, die sich von der Partei abspalteten und die USPD gründeten, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Sie war im Spartakusbund aktiv und trat 1919 der frisch gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei. War sie in der SPD Teil des radikalen linken Flügels gewesen, galt sie in der KPD eher als gemäßigt.

In der KPD

Obwohl sie auch in der KPD eine Führungsposition inne hatte, als Abgeordnete von 1920 bis 1933 im Reichstag saß und zahlreiche Ämter ausfüllte – u.a. war sie Vorsitzende der Internationalen Arbeiterhilfe, der Internationalen Roten Hilfe und des Roten Frauen- und Mädchenbundes –, verlor sie innerparteilich zunehmend Zustimmung. Ihre lange Aktivität in der SPD wurde ihr ebenso zum Vorwurf gemacht wie ihre wiederkehrende Opposition zur Parteiführung und nicht zuletzt zu Stalin. Mit Lenin und seiner Frau war sie befreundet gewesen, lebte nach dem Ersten Weltkrieg immer wieder für eine Zeit in der Sowjetunion, hoffte bis zuletzt auf die sozialistische Revolution, die in ihren Augen zwingend notwendig war, um die Emanzipation der Frau zu erreichen.

Im August 1932 trat sie ein letztes Mal als Rednerin in Deutschland auf und eröffnete als Alterspräsidentin den Reichstag, der damals bereits von der NSDAP dominiert wurde. Sie warnte scharf vor dem Nationalsozialismus – wie sehr sie damit richtig lag, musste sie nicht mehr erleben. Am 20. Juni 1933 starb Clara Zetkin in Archangelskoje bei Moskau; ihre Urne wurde an der Kremlmauer beigesetzt.

Wie ging es weiter mit dem Internationalen Frauentag?

Während des Ersten Weltkriegs zog die SPD sich weitgehend aus der Organisation zurück. Die USPD führte ihn 1917 gleich nach ihrer Gründung wieder ein, und auch die KPD organisierte später Jahr für Jahr Veranstaltungen. In der Weimarer Republik gab es zeitweise sogar zwei Frauentage: Am 8. März, durchgeführt von der KPD und angelehnt an den Frauentag der UdSSR, der am selben Tag begangen wurde, und mit wechselnden Daten, durchgeführt von der SPD, die sich nicht den Kommunisten anschließen wollte.

Als stark mit dem Sozialismus verknüpfter Tag, der noch dazu nicht zum nationalsozialistischen Frauenbild passte, wurde der Internationale Frauentag während des Dritten Reichs verboten – was Sozialistinnen und Sympathisantinnen nicht davon abhielt, unter dem Vorwand des „Auslüftens“ am 8. März rote Gegenstände und Wäschestücke auf Wäscheleinen und aus Fenstern zu hängen. Die Nationalsozialisten führten übrigens stattdessen ab 1934 den Muttertag ein, der ihre Haltung zur Rolle der Frau besser widerspiegelte – auch wenn der Muttertag heute glücklicherweise nicht mehr unter denselben Vorzeichen gefeiert wird.

Seit dem Zweiten Weltkrieg

1946 gab es in der sowjetischen Besatzungszone den ersten Frauentag nach Kriegsende. Er wurde schnell als offizieller Festtag eingeführt, der staatlich organisiert war und auch in der DDR erhalten blieb. Allerdings verlor er seinen Charakter als Kampftag, wies die offizielle Deutung ihn doch eher als Feier der Errungenschaften für die Stellung der Frau aus.

In den westlichen Besatzungszonen und der jungen BRD hatte der Frauentag beträchtlich an Bedeutung eingebüßt. Erst Ende der 1960er Jahre, als sich im Zuge studentischen Protestes die zweite Welle der Frauenbewegung anbahnte, gelangte er wieder mehr ins Bewusstsein der Zeitgenoss:innen.

1975, im durch die UN ausgerufenen Internationalen Jahr der Frau, wurde der Weltfrauentag verbindlich und endgültig auf den 8. März festgelegt. Offiziell hieß er „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“. Seitdem wird er weltweit am gleichen Datum begangen, wenn auch nicht mit den gleichen Schwerpunkten versehen.

Themen des Internationalen Frauentags

Die Schwerpunktthemen des Weltfrauentages haben sich im Lauf der Zeit gewandelt und unterscheiden sich bis heute auch regional. Das Frauenwahlrecht, für die europäischen und US-amerikanischen Frauenrechtlerinnen einer der Ausgangspunkte des Protests, wurde im Großteil Europas bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs eingeführt, gefolgt von einer weiteren Welle nach dem Zweiten Weltkrieg. Einzig Griechenland (1952), die Schweiz (1971) und Liechtenstein (1984) ließen sich damit mehr Zeit. In den USA war Frauen die Wahl ab 1920 erlaubt. Diese ursprüngliche Forderung war also bald obsolet.

Natürlich gibt es aber bis heute reichlich Themen, für die Frauen am 8. März auf die Straße gehen. Ende der 1960er Jahre etwa war der Protest gegen den „Abtreibungsparagraphen“ 218 ein wesentliches Thema.

Die Vereinten Nationen und auch die Europäische Union wählen jedes Jahr ein Motto als Schwerpunkt aus, das jedoch nicht verbindlich ist. Unter anderem wurden in den letzten Jahren Genitalverstümmelungen bei Frauen, Kinderheirat, Bildungschancen für Frauen und Mädchen, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, Erwerbstätigkeit und damit wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und sexuelle Gewalt thematisiert. Die Liste ließe sich noch ellenlang fortsetzen. Manche Themen, wie etwa sexuelle Gewalt, sind in allen Ländern der Erde relevant, andere, wie etwa Zugang zu Erwerbstätigkeit oder Kinderheirat, finden sich eher in einzelnen Regionen. Ein weltweites Bewusstsein und internationale Solidarität sind jedoch auch für diese Themen enorm wichtig.

Brauchen wir den Internationalen Frauentag heute noch?

Jain. Obsolet ist dieser Tag sicher noch nicht, nach wie vor gibt es viel zu tun. Die Liste der Benachteiligungen von Frauen weltweit ist noch immer lang.

Aber auch in Deutschland gibt es noch einiges zu tun. Auch wir haben einen Gender-Pay-Gap, auch bei uns leisten Frauen im Schnitt deutlich mehr (unbezahlte) Sorgearbeit als Männer, auch in Deutschland werden Frauen sexuell belästigt, und – der in meinen Augen schockierendste Punkt – noch immer wird hierzulande jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Expartner getötet. Frauenrecht ist Menschenrecht – das schrieb übrigens schon Clara Zetkin 1911 in der „Gleichheit“, und dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Doch es gibt auch Kritik an diesem Tag, vor allem dafür, wie er hierzulande inzwischen begangen wird. Alice Schwarzer plädierte bereits 2010 für seine Abschaffung und forderte: „Und machen wir aus dem einen Frauentag im Jahr 365 Tage für Menschen – und für die Tiere und die Natur gleich dazu.“ Ein Wunsch, dem ich nichts hinzufügen kann, denn das ist es, was wir eigentlich brauchen.

Solange wir dieses Ziel noch nicht erreicht haben, kann sich aber auch ein Internationaler Frauentag bezahlt machen, weil er helfen kann, Missstände sichtbar zu machen und sie damit ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu rücken. Dafür braucht es allerdings Aktivität und reale Veränderung – nicht so sehr Blümchen und Gratulation. Und wenn wir schon dabei sind, sollten wir vielleicht auch dem Tag der Menschenrechte am 10. Dezember etwas mehr Beachtung schenken. So lange, bis solche Tage tatsächlich überflüssig geworden sind, weil jeder Tag ein Tag für alle Menschen geworden ist.

In diesem – und (hoffentlich) in Clara Zetkins – Sinne: Her(aus) mit den Menschenrechten!

Danke an dieser Stelle an Lena von Familienleicht für diese Blogparade, die gerade Frauen und Müttern Möglichkeiten zur Sichtbarkeit und gegenseitigen Inspiration gibt! Denn so viel es auch noch zu tun gibt: Die Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit, die ihre Selbstständigkeit für viele Frauen bedeutet, ist es definitiv wert, gefeiert und gewürdigt zu werden.

Wer gerne mehr über die Geschichte des Weltfrauentags erfahren möchte:


Verwendet (und nicht nach streng wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt 😉 ):


Anmerkungen

Anmerkungen
1 Es ist durchaus problematisch, dass unser Blick häufig stark auf die Frauenbewegungen in der westlichen Welt gerichtet ist und selbst dort nicht alle Bevölkerungsgruppen einschließt. Rafia Zakaria thematisiert das Problem des „weißen Feminismus“ in ihrem Buch „Against White Feminism“. Die Zeit hat dazu ein interessantes Interview mit ihr geführt. Es ist wünschenswert, dass auch die Geschichte von Women of Color und ihren Emanzipationsbewegungen stärker in unser Bewusstsein rückt.

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